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In diesem ausführlichen Beitrag klären wir über die Anbindehaltung und andere Formen der Qualhaltung auf und stellen unser Engagement zu diesen Themen vor.
Die Broschüre gibt es hier als PDF zum herunterladen.
Liebe Leser*innen!
„Deutschland hat einen sehr hohen Tierschutzstandard.“ Diese Worte der ehemaligen Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner aus dem Jahr 2019 klingen wie Hohn für alle, die um das Leid von 1,1 Mio. Rindern in Anbindehaltung, 1,6 Mio. Sauen in Kastenständen und mehreren Millionen von Kaninchen in engen Käfigen in unserem Land wissen.
Viele Hoffnungen ruhen auf Klöckners Nachfolger im Amt, Cem Özdemir. Doch bis heute hat dieser wenig dazu beigetragen, die in ihn gesetzten Erwartungen zu bestätigen. Seine Worte widersprüchlich, die Taten beschränkt. Viel mehr als eine in vielerlei Hinsicht enttäuschende Haltungskennzeichnung für Schweinefleisch kann er bislang nicht vorweisen.
Gemeinsam mit Ihnen, liebe Leser*innen, ändern wir das! Mit unserer Kampagne „#LasstDieKuhLos – Anbindehaltung, Kastenstände und andere Qualhaltungen abschaffen!“ helfen wir Herrn Özdemir, seinem Anspruch als „oberster Tierschützer der Republik” doch noch gerecht zu werden. Appelle an das Gewissen von Konsument*innen oder freiwillige Aktivitäten durch Tierhalter*innen reichen hierbei nicht aus. Stattdessen ist es an der Zeit, wirksame ordnungsrechtliche Maßnahmen zu ergreifen, um die Lebensbedingungen unserer „Nutz“tiere radikal zu verbessern. Ein erster wichtiger Schritt ist für uns das konsequente Verbot jeglicher Anbinde- und Käfighaltung in unserem Land. Das und nicht weniger erwarten wir von unserer Regierung. Wir wollen Fakten aufzeigen, über Alternativen aufklären und für das Leid all jener Tiere sensibilisieren, die ihr Leben für den Menschen geben und kaum mehr als Qualen dafür zurückerhalten. Nicht zuletzt zeigen wir Ihnen Möglichkeiten auf, wie Sie konkret etwas gegen das Tierleid unternehmen können.
Vorstellen möchten wir neben der Anbindehaltung die in Deutschland gängigen Käfighaltungssysteme, da diese zum einen besonders schlimmes Tierleid verursachen. Zum anderen besteht eine konkrete Chance auf ihre Abschaffung im Rahmen der erfolgreichen EU-Bürger*innen-Initiative „End the Cage Age”.
In diesem Sinne: Lasst die Kuh los und die Sau raus!
Ihre Sara Lackner und Ihr Lukas Feldmeier für die Deutsche Tier-Lobby e.V.
1. Anbindehaltung
Die länger andauernde oder ganzjährige Anbindehaltung von Milchkühen und anderen Rindern war trotz der mit ihr verbundenen Tierqualen lange Zeit dominierende Praxis in Deutschland. Dabei werden die Tiere mittels Anbindevorrichtungen am Hals zeitweise (mindestens in den Wintermonaten) oder sogar ganzjährig angebunden, um sie daran zu hindern, sich frei zu bewegen. Die sogenannte „Kombinationshaltung“ (Anbindehaltung + begrenzter Auslauf) bildet eine Alternative zur reinen Anbindehaltung, da die Tiere an mindestens 120 Tagen im Jahr für wenigstens zwei Stunden täglich Auslauf im Freien haben. Betriebe, die im Stall zusätzliche Maßnahmen zur Verbesserung des Tierwohls durchführen, müssen sogar nur 90 Tage Auslauf gewährleisten. Die extrem niedrigen zeitlichen und qualitativen Anforderungen für den Auslauf, die Weidegang nur als Option beinhalten, erfüllen nicht die Bedingungen für eine verhaltensgerechte Unterbringung der Rinder nach dem Tierschutzgesetz (Bruhn et al., 2023). Vor dem Hintergrund der niedrigen Kontrollfrequenz in Deutschland ist es zudem zweifelhaft, ob die Vorgaben wirklich umgesetzt werden. Die übrigen bis zu 275 Tage sind die Tiere in der Kombinationshaltung ganztägig angebunden!
Worin bestehen die Qualen für die Tiere?
Die Bedürfnisse der Milchkühe und anderen Rinder nach Fortbewegung, Ruhe, Körperpflege und sozialer Interaktion werden in der Anbindehaltung stark eingeschränkt. Die Tiere sind lediglich in der Lage, sich hinzulegen und wieder aufzustehen. Dieser Zustand sorgt dafür, dass die Tiere krankheitsanfällig werden. Durch das Liegen auf dem Boden erleiden sie zudem PETA Deutschland e.V. 6 Schwellungen und Verletzungen an den Gelenken. Sozialkontakte sind nur ansatzweise zu den 1-2 Nachbar-Rindern möglich, die Tiere sind also nicht in der Lage, ihre natürlichen Verhaltensweisen wie beispielsweise das Herdenverhalten auszuleben. Anbindeställe sind darüber hinaus häufig gekennzeichnet von unbefriedigenden Lichtverhältnissen, einem schlechten Stallklima und einer unzureichenden Liegefläche. Der Platzmangel ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass die Anbindeställe nicht mit den zuchtbedingt größer gewordenen Kühen oder anderen Rindern mitgewachsen sind. Berichtet wird auch von miserablen hygienischen Verhältnissen, die dazu führen können, dass die Tiere in ihren eigenen Exkrementen stehen oder liegen.
Wie ist die Alternative Laufstall demgegenüber zu bewerten?
Die heute prägende Haltungsform mit einem Anteil von 83 % aller Rinder in Deutschland (Statistisches Bundesamt, 2021) sind Boxenlaufställe. Diese zeichnen sich durch eine Trennung der Bereiche Fressen, Liegen und Bewegen aus. Im Gegensatz zur Anbindehaltung können sich die Tiere hier zumindest frei im Stall bewegen und miteinander interagieren. Rotierende Bürsten dienen, sofern vorhanden, zur Körperpflege. Auch Laufställe weisen jedoch häufig gravierende Tierschutzmängel auf wie stark beengte Platzverhältnisse und Beton-Spaltenböden, die diverse Verletzungen verursachen. Besonders problematisch ist, dass in der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung keine Mindestanforderungen für die Haltung von Mastrindern und Milchkühen definiert werden. Nur noch 31 % der Rinder in Deutschland hatten im Jahr 2019 zeitweisen Zugang zu einer Weide, Tendenz: fallend (Statistisches Bundesamt, 2021).
Wie viele Mastrinder und Milchkühe leben in Anbindehaltung in Deutschland?
Im Jahr 2020 lebten in Deutschland 11,5 % der Milchkühe und 9,0 % aller übrigen Rinder in Anbindehaltung. Das entspricht einer Gesamtzahl von 1,1 Mio. Tieren bzw. einem Anteil dieser Haltungsform von 9,9 % im Jahr 2020. Besonders kleine Betriebe in Bayern und Baden-Württemberg nutzen diese Haltungsform noch häufig. So waren in Bayern im Jahr 2020 noch 21,7 % aller Rinder (628.000 Tiere) saisonal oder ganzjährig angebunden. In Baden-Württemberg belief sich der entsprechende Anteil auf 12,7 % (125.000 Tiere) (agrarheute, 2021; Statistisches Bundesamt, 2020).
Ein Leben in Anbindehaltung
Am Beispiel der Geschichte der Kuh Emma wollen wir das Leben einer – zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses noch fiktiven – Milchkuh in ganzjähriger Anbindehaltung skizzieren.
Emma ist eine Kuh. Sie wurde geboren, um Milch zu produzieren. Kurz nach ihrer Geburt wird sie von ihrer Mutter getrennt. Im Anschluss an einen traurigen Aufenthalt in einer Kälberbox (siehe Kapitel Kälberboxen) muss sie ihr weiteres Leben ab ihrem 7. Lebensmonat ganzjährig angebunden in einem Stall verbringen.¹ Unfähig, sich frei zu bewegen und ihre Umgebung zu erkunden, verbringt Emma ihre Tage damit, auf einer beengten Fläche von der Größe einer Zimmertüre zu stehen oder zu liegen, während sie auf die nächste Fütterung oder ihren nächsten Melktermin² wartet. Tageslicht dringt allenfalls durch die handtuchgroßen Fensteröffnungen bis zu ihr vor.
Sie hat noch nie die wärmenden Sonnenstrahlen auf ihrem Körper gespürt und kennt keine andere Umgebung als ihren Stall und die Behausungen, in denen sie als Kalb untergebracht war.
Emma hat schon lange aufgehört, sich gegen ihre Fesseln zu wehren und jede Hoffnung auf ein lebenswertes Leben verloren. Stattdessen hat sie sich in ihr Schicksal gefügt und Tag für Tag stumpfsinnig ihr Futter gekaut. Wie ihre Artgenoss*innen leidet Emma still, nach innen gekehrt. Die Deutsche Tier-Lobby e.V. beschäftigt sich mit dem Leid, das Kühe wie Emma durchstehen müssen. Berührt von Emmas Schicksal, das stellvertretend für jenes von über einer Million anderer Milchkühe und Rinder in Deutschland steht, beschließt die Deutsche Tier-Lobby e.V., sie zu retten.³ Sie bringt Emma auf einen nahegelegenen Gnadenhof, wo sie seitdem in einem offenen Stall mit Weidezugang leben darf.
Zu Beginn ist Emma etwas skeptisch und ängstlich. Sie hat noch nie eine offene Weide gesehen oder Gras unter ihren Hufen gefühlt. Doch nach ein paar Tagen beginnt sie, sich an ihr neues Zuhause zu gewöhnen. Endlich kann sie ihren natürlichen Bedürfnissen nachgehen und mit Artgenoss*innen in Kontakt treten. Sie ist keine Maschine mehr, deren einziger Daseinszweck die Milchproduktion ist, sondern ein individuelles und einzigartiges Lebewesen.
Leider haben die wenigsten Rinder in Deutschland das Glück, aus erbärmlichen Haltungsbedingungen wie diesen befreit zu werden: Während Emma ihr neues Leben auf dem Gnadenhof genießt, werden andere Milchkühe – nach einem häufig trostlosen Leben in Anbindehaltung oder anderen nicht tiergerechten Systemen – im Alter von 5 – 6 Jahren geschlachtet.
¹Nach §5 Nr. 3 in Verbindung mit §2 Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung (TierSchNutztV) dürfen Kälber – d.h. Rinder im Alter von bis zu 6 Monaten – nicht angebunden werden.
²2 Nachdem sie besamt und zum ersten Mal Mutter wurde, gibt Emma Milch.
³Die DTL plant eine Kuh freizukaufen und auf dem Gnadenhof “Fränkische Schweiz” in Pegnitz unterzubringen. Mehr dazu in Kürze auf unserer Homepage.
2. #LasstDieKuhLos
Anbindehaltung im Koalitionsvertrag
Laut Koalitionsvertrag 2021 will die Bundesregierung die Anbindehaltung innerhalb von zehn Jahren beenden. Es bleibt jedoch unklar, ob diese Ankündigung nur die ganzjährige Anbindehaltung betrifft oder auch die sogenannte Kombinationshaltung (siehe oben). Letztere stellt aus Tierschutzsicht keine akzeptable Alternative dar, da auch sie die ganztägige Fixierung der Tiere an bis zu 245 Tagen bzw. bei Umsetzung von Maßnahmen zur Erhöhung des Tierwohls im Stall sogar an bis zu 275 Tagen im Jahr erlaubt. Die Vorgaben für die übrigen 120 bzw. 90 Tage sind äußerst dürftig und sehen gerade einmal zwei Stunden Auslauf pro Tag vor. Nach dem Tierschutzgesetz sind beide Haltungsformen rechtswidrig (Bruhn et al., 2023).
Unsere Forderungen an die Politik
- Vollständige Abschaffung der Anbindehaltung inklusive der Kombinationshaltung. Insbesondere die ganzjährige Anbindehaltung ist unverzüglich zu untersagen, eine Übergangsfrist von zehn Jahren ist sowohl für die ganzjährige Anbindehaltung als auch für die Kombinationshaltung deutlich zu lang bemessen.
- Möglichst weitgehender Umstieg auf tiergerechtere Haltungssysteme mit ganzjährigem Auslauf und mindestens sommerlicher Weidehaltung. Entsprechende Ausrichtung der Fördermittel für Landwirt*innen, die aus der Anbindehaltung aussteigen (müssen). Keine Förderung neuer Laufstallhaltungen, die weder über einen Auslauf noch über Zugang zur Weide verfügen.
- Perspektivisch: Obligatorische Gewährleistung eines ganzjährigen Auslaufs und mindestens sommerlichen Weidezugangs für alle in Deutschland lebenden Rinder. Entsprechende Verankerung in der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung. • Finanzierung der Fördermittel über eine Erhöhung der Mehrwertsteuer auf tierische Produkte von 7 % auf mindestens 19 %. Mit den Mehreinnahmen sollen einheimische Landwirt*innen bei der Herstellung verbesserter Haltungsbedingungen unterstützt und ihre Mehrkosten gegenüber dem Ausland ausgeglichen werden.
Mittelfristiges Förderkonzept der DTL zur Ablösung der Anbindehaltung
3. Kastenstände
Kastenstände sind kaum mehr als körpergroße Metallkörbe, in denen rund 1,6 Millionen Muttersauen in Deutschland fast ihr halbes Leben verbringen müssen (Bundesinformationszentrum Landwirtschaft, 2021). Die Käfige sind so eng, dass die Sauen sich darin nicht einmal umdrehen können! Auch ein ungehindertes Ausstrecken in Seitenlage ist in der Regel nicht möglich.
Kastenstände werden sowohl während der ersten Wochen der Trächtigkeit (Deckzentrum) als auch während der Säugephase (Abferkelbereich, sogenannter “Ferkelschutzkorb”) zur Verringerung der Ferkelverluste durch Erdrücken eingesetzt. Im europäischen Vergleich zeigt sich jedoch, dass Kastenstände keinen Mehrwert in punkto Ferkelsicherheit bieten. So sind Kastenstände in der Schweiz, Norwegen und Schweden im Abferkelbereich nicht zulässig, ohne dass die Ferkelverluste dort höher sind als in Deutschland.⁴
Den Mutterschweinen wird im Kastenstand die Auslebung nahezu aller Grundbedürfnisse wie soziale Interaktion, Fortbewegung, Ruhen/Schlafen, Nahrungsaufnahme, Nestbauverhalten und Erkundung der Umgebung anteilig oder vollständig vorenthalten. Die Beeinträchtigungen führen häufig zu teils schmerzhaften Erkrankungen wie Harnwegsentzündungen und weiteren Erkrankungen des Geschlechtsapparats, Druckverletzungen sowie Klauen- und Gelenkserkrankungen. Zudem entwickeln Mutterschweine in Kastenständen Verhaltensstörungen wie Leerkauen, Stangenbeißen und Apathie. Berichtet wird weiterhin von trauernden Tieren, die über einen längeren Zeitraum mit gesenktem Kopf und geschlossenen Augen in Sitzhaltung verharren.
#LasstDieSauRaus
Mit öffentlichkeitswirksamen Aktionstagen, durch Lobbygespräche sowie online unter dem Hashtag #LasstDieSauRaus setzt sich die Deutsche Tier-Lobby e.V. seit Jahren für die vollständige Abschaffung des Kastenstands ein. So ist es auch auf den Druck der Tierschutzbewegung zurückzuführen, dass im Frühjahr/Sommer 2020 ein bereits zustande gekommener und für uns völlig inakzeptabler Kompromiss zwischen Unionsparteien und Grünen nachverhandelt wurde. Der auf dem verbesserten zweiten Kompromiss basierende Bundesrats-Beschluss vom 03.07.2020 sieht im Kern folgende Regelungen vor:
Entgegen der ersten Einigung wird der Kastenstand ab 2029 im Deckzentrum weitestgehend verboten. Sauen dürfen nur noch direkt bei der Besamung fixiert werden. Nach einer – viel zu langen – Übergangszeit von 15,5 Jahren wird die zulässige Aufenthaltsdauer von Sauen im sogenannten Ferkelschutzkorb ab 2036 auf fünf Tage pro Zyklus reduziert.
Was wir fordern
Die Deutsche Tier-Lobby e.V. hält an ihrer Forderung nach einem vollständigen und deutlich schnelleren Verbot dieser Qualhaltungspraxis fest. Jeder Tag im Kastenstand ist aufgrund des damit verbundenen Tierleids einer zu viel! Die Fixierung während des Geburtsvorgangs sorgt bei den gebärenden Tieren aufgrund ihrer Anatomie für zusätzliche Schmerzen. Den betroffenen Sauen wird die Möglichkeit eines Nestbaus verwehrt. Wegen der unnatürlichen Distanzierung durch die Metallstäbe des Kastenstands während der ersten Lebenstage kann die Beziehung der Sau zu ihren Ferkeln auch für die anschließenden Wochen der käfigfreien Säugung Schaden nehmen. Angesichts der massiven Vollzugsdefizite in Deutschland erscheint eine wirksame Überprüfung der maximalen Aufenthaltsdauer der Sauen im Kastenstand zudem fragwürdig.
⁴Die Sterblichkeit der Ferkel zwischen Geburt und Absetzen liegt in Deutschland nach einer Untersuchung von Baumgartner (2012) bei 15,3%, in Schweden bei 17,2%, in Norwegen bei 14,9% und in der Schweiz sogar bei nur 13,1% (Erweiterung des Normenkontrollantrages zur Schweinehaltung des Landes Berlin, 2021).
4. Käfighaltung von Kaninchen
Kaninchen dienen in Deutschland der Erzeugung von Fleisch, Pelz und Angorawolle, leben als Versuchs- oder Haustiere. Jedes Jahr werden hierzulande ca. 18 Mio. von ihnen geschlachtet. Rund 67,5 % des in Deutschland konsumierten Fleisches stammen aus der privaten Aufzucht und zwischen 15 und 17,5 % aus der deutschen gewerblichen Erzeugung. Die verbleibende Menge wird aus China, Frankreich und Osteuropa (Polen, Tschechien, Ungarn) importiert.
Auch wenn im Jahr 2014 endlich Mindestanforderungen für die Kaninchenhaltung in der Tierschutz- Nutztierhaltungsverordnung verankert wurden, dominiert in der gewerblichen Kaninchenmast in Deutschland immer noch die weiterhin erlaubte Käfighaltung. Im Februar 2024 laufen die letzten Übergangsfristen für die Neuregelungen ab, sodass ab diesem Zeitpunkt zumindest einige der schlimmsten Charakteristika der Käfighaltung wie Drahtgitterböden verboten sind.
Es gibt noch viel zu tun
In eingeschränktem Maße müssen auch erhöhte Liegeflächen und Rückzugsräume geschaffen werden, die von Tierschützer*innen allerdings als viel zu klein bezeichnet werden. Kaninchenhalter*innen sind zudem verpflichtet, den Nagern permanent Stroh, Heu oder ähnliche Materialien zur Verfügung zu stellen. Das Platzangebot bleibt mit 1,5 bis 2,5 DIN-A4-Blättern pro Tier äußerst begrenzt. Ein Auslauf ist weiterhin nicht vorgesehen, die bewegungsfreudigen Tiere werden damit einer ihrer wichtigsten Aktivitäten beraubt.
Auch das Ausleben weiterer Grundbedürfnisse wie Nahrungssuche, Graben und der soziale Rückzug (siehe oben) wird den Tieren weitestgehend verwehrt. Die Aufteilung der Stallfläche in die Funktionsbereiche Nahrungsaufnahme, Aufenthalts- und Rückzugsbereich ist aufgrund der Enge der Behausungen nur eingeschränkt möglich. Der Bewegungsmangel, die monotone Umgebung und die eingeschränkten Rückzugsmöglichkeiten verursachen Verhaltensauffälligkeiten wie anhaltendes Gitternagen, ausdauerndes Scharren in den Stallecken und Belecken der Einrichtung, aggressive Auseinandersetzungen sowie Störungen des Bewegungsapparats und Knochenschwäche. Aufgrund der unzureichenden Hygieneanforderungen sind zudem auch in Zukunft Augen- und Schleimhautreizungen zu erwarten.
Tiergerechtere Haltungsformen für Kaninchen beinhalten einen Auslauf, deutlich mehr Platz pro Tier, ausreichend große erhöhte Flächen und Rückzugsbereiche sowie einen abwechslungsreich gestalteten Lebensraum.
Was wir fordern
Die Deutsche Tier-Lobby e.V. hält an ihrer Forderung nach einem vollständigen und deutlich schnelleren Verbot dieser Qualhaltungspraxis fest. Jeder Tag im Kastenstand ist aufgrund des damit verbundenen Tierleids einer zu viel! Die Fixierung während des Geburtsvorgangs sorgt bei den gebärenden Tieren aufgrund ihrer Anatomie für zusätzliche Schmerzen. Den betroffenen Sauen wird die Möglichkeit eines Nestbaus verwehrt. Wegen der unnatürlichen Distanzierung durch die Metallstäbe des Kastenstands während der ersten Lebenstage kann die Beziehung der Sau zu ihren Ferkeln auch für die anschließenden Wochen der käfigfreien Säugung Schaden nehmen. Angesichts der
massiven Vollzugsdefizite in Deutschland erscheint eine wirksame Überprüfung der maximalen Aufenthaltsdauer der Sauen im Kastenstand zudem fragwürdig.
5. Kälberboxen
In der modernen Rinderhaltung werden Kälber direkt nach der Geburt von ihren Müttern getrennt und für die folgenden vier bis acht Wochen in Kälberboxen im Stall oder sogenannten Iglus außerhalb des Stalls einzeln untergebracht.⁵
In ihren ersten Lebenstagen sind die jungen Rinder so in vielerlei Hinsicht auf sich alleine gestellt. Sie müssen beispielsweise ohne mütterliche Unterstützung und Motivation lernen, aufzustehen und ihre ersten Schritte zu gehen. Statt bei der Mutter ca. sechsmal am Tag kleinere Portionen zu saugen, trinken sie 2- bis 3-mal täglich größere Mengen Milchaustauscher aus Eimern oder Automaten oder werden per Plastikschlauch zwangsgetränkt. Das nicht ausreichend befriedigte Saugbedürfnis kommt in der Gruppenhaltung von Kälbern dadurch zum Ausdruck, dass diese sich gegenseitig an Nabeln und Geschlechtsteilen besaugen, was zu Verdauungsstörungen führen kann. Mit dem einsetzenden Bedürfnis nach Kontakt zu Artgenossen leiden die Kälber zudem unter der sozialen Isolation während ihrer bis zu achtwöchigen Einzelhaltung.
Kälberboxen müssen laut Verordnung nur ca. einen Meter breit und knapp zwei Meter lang sein. Diese Enge steht im eklatanten Widerspruch zum Bedürfnis der jungen Tiere nach Laufen, Spielen, Körperpflege und Ruhe. Fehlt der Platz zum Einnehmen einer entspannten Seitenlage mit ausgestreckten Beinen, steigt der Stresspegel der Kälber.
Vor diesem Hintergrund haben die Initiatoren der nachfolgend vorgestellten EU-Bürger*innen-Initiative #EndTheCageAge Kälberboxen genauso wie Kastenstände und Kaninchenställe als Käfighaltung eingestuft und streben deren Verbot an.
Es geht auch anders
Es gibt Alternativen zur Kälberboxhaltung, die den Bedürfnissen der Kälber nach sozialer Interaktion und Bewegung besser entsprechen wie beispielsweise die Gruppenhaltung direkt nach der Geburt. Dabei werden Kälber in Gruppen von etwa 15 Tieren gehalten. Optimalerweise sind die Gehege so dimensioniert, dass die Jungtiere genügend Platz zum Laufen und Spielen haben. Tiergerecht ist diese Haltungsform aber bestenfalls dann, wenn die Kälber Kontakt zu ihren Müttern haben können.
⁵Während Mastkälber bis zu acht Wochen (Höchstdauer lt. Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung) in Einzelhaltung verbringen, werden viele andere Kälber schon ab einem Alter von vier Wochen per Langstreckentransport ins Ausland exportiert. Diese Transporte sind mit erheblichem Leid für die jungen Tiere verbunden (Rabitsch, 2020).
6. End the Cage Age
„End the Cage Age“ ist eine erfolgreiche Bürger*innen-Initiative zur Beendigung der Käfighaltung von „Nutz“tieren in Europa. Über 170 Organisationen haben sich auf Initiative der NGO Compassion in World Farming zusammengeschlossen, um die Kampagne ins Leben zu rufen. Innerhalb eines Jahres hat die Initiative 1,4 Mio. Unterschriften zur Unterstützung ihres Anliegens gesammelt und diese im Oktober 2020 an die Europäische Kommission übergeben.
Nachdem sich das EU-Parlament im Juni 2021 bereits positiv positionierte, zog die EU-Kommission wenige Tage später nach und kündigte an, bis Ende 2023 einen Gesetzesvorschlag vorzulegen, der die Verwendung von Käfigen für die folgenden heute noch unter Käfighaltung leidenden „Nutz“tierarten verbietet: Hühner, Mutterschweine, Kälber, Kaninchen, Wachteln, Enten und Gänse. In Deutschland
wären von einem Verbot die bereits vorgestellten Kastenstände für Muttersauen, Kaninchen- Käfige sowie Kälberboxen betroffen. Das Käfigverbot könnte in Abhängigkeit vom Ausgang einer Machbarkeitsprüfung durch die EU-Kommission ab 2027 in Kraft treten. Wichtige Details wie Übergangsfristen für Bestandsbauten und etwaige Ausnahmen vom Verbot sind noch nicht bekannt.
Was folgt?
Jetzt kommt es darauf an, den gesetzgebenden Prozess zu überwachen und sicherzustellen, dass die Kommission ihre Verpflichtungen einhält. Zudem muss Überzeugungsarbeit bei den Regierungen der Mitgliedsstaaten geleistet werden, da diese letztlich im Ministerrat (zusammen mit dem EU-Parlament) über den Kommissionsentwurf abstimmen werden. In Deutschland ist unser Hauptansprechpartner Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir.
End the Cage Age - Unsere Forderungen an Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir
1. Setzen Sie sich für ein Verbot jeglicher Käfighaltung inkl. Kastenständen, Kaninchenkäfigen und Kälberboxen in der EU sobald wie möglich, spätestens aber bis Ende 2027, ein!
2. Gewährleisten Sie, dass jegliche Importe aus dem Nicht-EU-Ausland, die unter niedrigeren Tierschutzstandards als in der EU produziert wurden, verboten werden.
3. Sollte ein Verbot der Käfighaltung auf EU-Ebene nicht bis 2023 durchsetzbar sein, muss Deutschland vorangehen und die Forderungen von End the Cage Age vorerst auf nationaler Ebene umsetzen. Die Mehrkosten für die betroffenen Landwirte gegenüber der billigeren Konkurrenz aus dem Ausland sind in diesem Fall durch verursachergerecht finanzierte Fördermittel wie eine erhöhte Mehrwertsteuer auf tierische Produkte auszugleichen. Der Einsatz der Fördermittel sollte dabei auf in puncto Tierschutz ambitionierte Haltungssysteme konzentriert werden.
7. Action
Als Politiker*in
- Handeln Sie JETZT und machen Sie Deutschland zum Vorreiter bei der vollständigen Abschaffung der Anbindehaltung! Erfahrungen zeigen, dass andere Länder folgen, wie Frankreich bei der Ferkelkastration und beim Verbot des Kükentötens.
- Setzen Sie sich für das europaweite Verbot aller Käfighaltungen bis spätestens zum Jahr 2027 ein!
Als Bürger*in
- Kommen Sie zum bundesweiten Aktionstag gegen Anbindehaltung am 23.09.23 mit vielen Veranstaltungen deutschlandweit!
- Fordern Sie unter #LasstDieKuhLos, #EndTheCageAge und #LasstDieSauRaus die Abschaffung der Anbindehaltung sowie aller übrigen Qualhaltungen in den Sozialen Medien!
- Unterschreiben Sie die (Online-)Protest-Postkarten gegen Anbindehaltung an Cem Özdemir!
Als Landwirt*in
- Nutzen Sie die Förderprogramme von Bund und Ländern und steigen Sie aus der Anbindehaltung und anderen Qualhaltungssystemen aus! Informationen finden Sie u.a. in der Fördermitteldatenbank von Bund und Ländern.
- Machen Sie Ihren Betrieb zukunftsfest! Stellen Sie auf ein deutlich tiergerechteres System um, wie Freilandhaltung für Sauen und Kaninchen, Laufställe mit ständigem Zugang zu Außenanlagen und mindestens sommerlicher Weidehaltung für Rinder und muttergebundener Gruppenhaltung für Kälber.
Als Handelsunternehmen
- Listen Sie sämtliche Produkte aus Qualhaltungen aus! Die Ankündigungen von Aldi, Edeka und Netto, schrittweise auf Milch aus Anbindehaltung zu verzichten, sind ein guter Anfang.
- Erweitern Sie ihr veganes Sortiment!
Literaturverzeichnis
Vorwort
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Anbindehaltung
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Action: Was sie jetzt tun können
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